Mobilitätsblog #1 | Park-and-Ride
Tagebucheintrag vom: 04.01.2023
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Neue Infrastruktur für Mobilität von Gestern
Ich möchte mich zu Beginn gleich mal einem Thema widmen, welches nicht gerade einfach zu bewerten ist und noch dazu emotional behaftet ist.
Es geht um Parkplätze. Viele Parkplätze, meist in Form großer Parkhäuser oder Asphaltflächen, oft neben Bahnhöfen im Speckgürtel befindlich und generell fast immer schirch. Es ist die in Beton oder Asphalt gegossene Abhängigkeit des ländlichen Raums vom Automobil und zeugt von der Einfallslosigkeit jedes einzelnen Bundeslandes, und den Verkehrsverbünden. Andererseits bewegten sie viele zum Umstieg auf die Öffis. Und es werden jährlich mehr, allein die ÖBB errichtet jährlich 2000 neue Stellplätze in Park-and-Ride-Anlagen.
Die Ausgangssituation
Park-and-Ride ist doch eine gute Sache, man lässt das Auto stehen und fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln weiter – ob in die Bezirkshauptstadt, die Landeshauptstadt oder die ganz große Hauptstadt: Wien. Park-and-Ride bedeutet, dass auch Pendler*innen entspannt in die Arbeit kommen (vorausgesetzt der Zug ist nicht überfüllt), ohne dabei im Stau stehen zu müssen. Das spart Zeit und viele Emissionen. Es bedeutet, dass auch Menschen, die nicht nahe am Bahnhof wohnen, ihr Auto abstellen und die Bahn benutzen können. Also eigentlich eine gute Sache. Wieso ich dann so negativ begonnen habe?
Nun ja, das ist nur der positive Teil der Geschichte, den Politiker*innen nur zu gerne betonen. Die negative Seite ist unbekannt oder wird bewusst ignoriert – weils eben genau da kompliziert wird.
Park-and-Ride-Anlagen sind nüchtern betrachtet Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr und werden „notwendig“, weil es keine qualitative Alternative zum Auto gibt. Wie so oft im Leben bekämpft Park-and-Ride nicht die Ursache, sondern die Symptome.
Die Ursache: Das Auto, es hat als Freiheitssymbol die Straßen der Nachkriegszeit erobert und hält diese seitdem fest im Griff. Bis heute werden andere Verkehrsteilnehmer*innen untergeordnet. Diese Fixierung aufs Automobil hat Symptome hinterlassen: Die Raum- und Verkehrsplanung steckt gefühlt im letzten Jahrtausend fest und induziert Autoverkehr aufgrund von Zersiedelung und Gewerbeansiedelungen auf der grünen Wiese. Um diese weitläufige Siedlungsstruktur überhaupt nutzbar zu machen braucht es wiederum das Auto.
Die Scheinlösung
Und weil ich in diesem Beispiel sowieso ein Auto besitze, nehme ich dieses auch für meinen Weg zur Arbeit – der Staat fördert mit der Pendlerpauschale. Nun will mich die Politik aber für den öffentlichen Verkehr begeistern und führt ein attraktives Jahresticket ein. Nun fahre ich den kurzen Weg zum Bahnhof – auch wenn es nur wenige Kilometer sind, natürlich auch mit dem Auto. Es wurde schließlich am nahe gelegenen Bahnhof eine neue Park-and-Ride Anlage errichtet, die gratis ist.
Park-and-Ride schafft es somit zwar, Pendler*innen auf die Öffis zu verlagern und hat damit in den letzten Jahren sicher schon vielen Menschen Staus und Frust erspart, jedoch darf man nicht dazu übergehen, es als Allerheilslösung zu sehen. In Anbetracht der Klimaziele und der damit notwendigen starken Reduktion des Autoverkehrs muss es darum gehen, auch die berühmte letzte Meile unabhängig vom eigenen Auto zurücklegen zu können.
Die Alternativen
Und genau hier braucht es die Kreativität an Verkehrslösungen, die ich so vermisse. Parkplätze „Park-and-Ride“ und einen Fahrradständer neben dem Bahnhof zu errichten und dies als Mobilitätsdrehscheibe zu verkaufen ist möglich, aber lächerlich. Nie wird jeder mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren, wenn der Fahrradweg ins übernächste Dorf gleichzeitig die Bundesstraße ist.
Es braucht vor allem dort, wo keine Vorarlberger Verhältnisse bei Busverbindungen und Taktungen herrschen, Angebote wie Stadtbusse, Rufbusse, Taxis, diverse Sharing Angebote, gesicherte Radabstellanlagen usw., und das an jedem Bahnhof. Beispiele für funktionierende Mikro-ÖV-Systeme im ländlichen und kleinstädtischen Bereich gibt es – seien es die Gmoa Busse in den Neusiedlersee-Gemeinden Purbach und Breitenbrunn, das Traunseetaxi, der Stadtbus Eisenstadt, das Postbus Shuttle Mödling oder die Bürgertaxis in Tirol.
Gmoa-Bus:
https://www.burgenland.info/dc/detail/POI/gmoa-bus-breitenbrunn
Traunsee Taxi:
https://traunsee-almtal.salzkammergut.at/anreise-nahverkehr/traunstein-taxi.html
Stadtbus Eisenstadt:
https://www.stadtbuseisenstadt.at/index.php/stadtbus-eisenstadt-97.html#top
Postbus-Shuttle:
https://www.postbus.at/de/unsere-leistungen/postbus-shuttle/moedling
Tirol: Bürgertaxi & VVT Taxi
https://www.meinbezirk.at/reutte/c-lokales/2-doerfer-mit-ueber-100-taxifahrern_a804690
https://www.vvt.at/page.cfm?vpath=ueber-uns/unsere-leistungen/regiotax
Doch diese regional begrenzten Systeme sind ein Fleckerlteppich, es braucht den politischen Willen gesamtheitliche Änderungen herbeizuführen. Und ja, ich denke all das wäre finanzierbar, würde sich der Staat endlich aus den Fesseln der Autoindustrie befreien und die klimaschädlichen Subventionen beenden. Man denke nur an die Millionen Euro für Park-and-Ride-Anlagen – stattdessen könnte man wohl oben genannte Systeme bundesweit finanzieren und würde so auch eine Menge an Arbeitsplätzen schaffen.
Der Wunsch
Die Flächen, die es rund um die Bahnhöfe gibt, verdichtet für Wohnungen, Büros und Gewerbe nutzen statt für tote Parkplatzfläche zu vergeuden, hat höchste Priorität. Auch wenn es schwerfällt, Parallelen vom ländlichen Raum zur aspern Seestadt zu ziehen, hier wurde genau das berücksichtigt: Im direkten Umfeld von den Stationen Seestadt und Aspern Nord ist die Bebauung dichter, es gibt mehr Hochhäuser. So hält man die Wege kurz und fördert aktive Mobilität. Und dass es hier in der Seestadt auch nicht wenige Sammelgaragen gibt, ist nicht Schuld der Seestadt – sondern der Umgebung anzulasten. Denn gäbe es überall nur Seestädte mit U-Bahn- und Zuganbindung, bräuchte es wohl kaum Autos auf dieser Welt.
Das Fazit
Siedlungsstruktur und Verkehrsinfrastruktur haben enorme Lenkungseffekte. Lasst uns diese richtig nützen und die Infrastruktur bauen, die wir in Zukunft brauchen!
Was meint Ihr dazu? Schreibt mir eine E-Mail! jori.thaler@tuwien.ac.at